Hartogs Thorweg
Als letzte Station im Areal zwischen Glockengießerstraße und Wakenitzmauer werfen wir heute noch einen Blick in Hartogs Thorweg, Wakenitzmauer 170. Kein Schild über dem Eingang, moderne Häuser im Innenhof und laut Archiv der Hansestadt Lübeck eigentlich nicht mehr vorhanden, haben meine Recherchen zu diesem Gang doch einige interessante Dinge ans Tageslicht gefördert…
Auf der Suche nach Informationen zur Geschichte von Hartogs Thorweg, habe ich in meinen üblichen Quellen nur sehr dürftige Hinweise gefunden. Im Verzeichnis des Archivs der Hansestadt Lübeck, Bau- und Architekturgeschichte, Stadtentwicklung in Lübeck, findet sich für die Wakenitzmauer 170 lediglich der Name „Hartogs Thorweg“ mit dem Vermerk, dass dieser nicht mehr existiert sowie ein Verweis auf Band 5 von Rainer Andresens „Geschichte der Wohngänge“ [1]. Dieser wiederum berichtet, dass der Gang wohl erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts angelegt worden sei, jedoch fehle er in diversen Stadtplänen aus jenen Tagen und auch in den Adressbüchern sei er nicht zu finden [2]. Mittlerweile hege ich an dieser Theorie einige Zweifel, doch der Reihe nach:
Nach dem Ende der französischen Herrschaft über Lübeck (1806/1811 bis 1813) [3] wurde 1820 die Nummerierung der Häuser wieder einmal geändert [4]. Während die Franzosen die Häuser jeder einzelnen Straße bei Nr. 1 beginnend durchnummerierten und erstmals auch Nebengebäude und Gänge spezielle Nummern erhielten, kehrte man nun im Prinzip wieder zur alten, 1796 eingeführten, quartiersbezogenen Nummerierung zurück. Eigenständige Nebengebäude sowie Gänge und Höfe bekamen nun aber auch eigene Nummern und wurden entsprechend in die Adressbücher aufgenommen. Aufgrund dieser Änderungen stimmten allerdings in den wenigsten Fällen die alten Hausnummern von 1796 noch mit denen von 1820 überein. Erst 1884 wurde das noch heute gültige System der straßenbezogenen Nummerierung eingeführt, das sich wiederum am französischen System von 1812 orientiert.
Im Lübeckischen Adressbuch von 1821 ist eine Straße mit dem Namen „Wakenitzmauer“ nicht zu finden, wohl aber die Straße „An der Mauer“ bzw. „Bey der Mauer“, die zu dieser Zeit nicht nur von der Mühlenbrücke bis zur Fleischhauerstraße reichte. Sie ging wenigstens weiter bis zur Kleinen Gröpelgrube, wenn nicht sogar bis zur Kaiserstraße, wobei der letzte Teil, kurz vor der Kaiserstraße, damals wohl „Bei der Schafferey“ hieß. Am unteren Ende der Hundestraße war die „Mauer“ nur von einem kurzen Stück namens „Sack“ unterbrochen. Im „Grundriss der Freien Stadt Lübeck“ von H. L. Behrens aus dem Jahr 1824/1840 [5] ist dies gut zu erkennen, genau wie zwei Gänge in dieser Straße im Abschnitt zwischen Hundestraße und Glockengießerstraße. Rainer Andresen schreibt, dass Hartogs Thorweg „auf dem Plan von Behrens aus dem Jahre 1824“ fehlt, also wurde er möglicherweise erst bei der Berichtigung dieser Karte 1840 eingefügt. Wie bei den meisten Gängen, wurden allerdings nur die Hausnummern angegeben, keine Namen. Im besagten Adressbuch von 1821 ist jedoch zu lesen, dass der Gang in Nr. 199 „Homanns Gang“ hieß, der in Nr. 205 „Lembke’s Gang“ [6]. Diese Hausnummern entsprechen den heutigen Adressen Wakenitzmauer 180 (Homanns Gang) und 170 (Hartogs Thorweg).
Wer dem Gang in Nr. 205 seinen damaligen Namen gegeben hat, geht daraus leider nicht hervor. Der Name Lembke findet sich nicht gerade selten in den Geschichts- und Adressbüchern. Von 1794 bis 1799 hieß z. B. der Lübecker Bürgermeister Gabriel Christian Lembke (auch erwähnt im „Lübeckischen Adressbuch für das Jahr 1798“ [7]) und es gab u. a. noch einen Sekretär und Registrator namens Christian Heinrich Lembke, einen „Diaconus zu St. Marien“ mit Namen Gabriel Lembke, einen „Niedergerichts-Procurator“ namens Paul Christian Nicolaus Lembke sowie einen „Med. Dr. und Physicus“, der auf den Namen Hans Bernhard Ludwig Lembke hörte.
In den nachfolgenden Adressbüchern von 1824, 1826 und 1828 heißt der Gang in Nr. 205 weiterhin Lembke’s Gang, doch im „Lübeckischen Adress-Buch 1830“ findet sich an dieser Stelle ein neuer Name: „Broschmanns Gang“ [8]. Einen Bewohner mit diesem Namen gibt es zwar nicht, auf S. 103 wird aber der Malermeister Hermann Diedrich Jacob Broschmann erwähnt, der in der Glockengießerstraße 215 wohnt. Hinter Hausnummer 217 befand sich damals Graths Gang, heute Glockengießerstraße 70. Ein Zusammenhang ist aufgrund der räumlichen Nähe also nicht ausgeschlossen.
Doch damit nicht genug! Ab dem Adressbuch von 1854 heißt der Gang „Kleins Gang“, so wie derjenige in der heutigen Wakenitzmauer 164. Vielleicht ein Indiz für eine schon damals bestehende enge Verbindung der Gänge dieses Areals? Der Name „Klein“ taucht in diesem Adressbuch sehr häufig auf, besonders interessant ist aber ein Malermeister namens Volkert Cornelius Klein, der in der unteren Glockengießerstraße 215 wohnt – genau wie 1830 Hermann Diedrich Jacob Broschmann! Man sagt ja, es gibt keine Zufälle…
NACHTRAG: Wie mir scheint, gibt es hier einiges an Unstimmigkeiten, was die Benennung der Gänge und der zugehörigen Hausnummern angeht. Von der Lage im Stadtplan aus dem Jahr 1824/1840 her, würde dieser Gang tatsächlich eher zu Kleins Gang in der heutigen Wakenitzmauer 164 passen, die Benennung in den Adressbüchern bezieht sich jedoch ziemlich eindeutig auf die heutige Nr. 170, wie wir gleich noch sehen werden. Ob dies alles mit den Umbauten durch und nach dem Wegzug der Maschinenfabrik Baader zusammenhängt oder ob es doch noch ganz andere Gründe hat, ist vielleicht ein interessantes Forschungsthema für die Historiker.
Für gut 30 Jahre, bis zum Adressbuch aus dem Jahr 1884, blieb der Name „Kleins Gang“ erhalten. Mit der neuen Nummerierung der Häuser änderte sich auch der Straßenname, sodass dieser Gang im Adressbuch von 1886 erstmals unter „Wakenitzmauer“ Nr. 170 aufgeführt wird, jetzt allerdings ohne einen Namen [9]. Erst im Adressbuch von 1896 taucht der Name „Hartogs Thorweg“ zum ersten mal auf [10]. Wie er zu diesem Namen kam, ist leider nicht ersichtlich. Meine erste Vermutung war, dass mit „Hartog“ vielleicht „Herzog“ gemeint sein könnte (die Hartengrube hieß um 1379 „Hartogengrove“), jedoch findet sich im besagten Adressbuch auf Seite 151 auch ein gewisser Friedrich Johann Christian Hartog, ein Kaufmann, der seine Firma „F. Hartog“ in der Großen Burgstraße 36 führte und somit als Kandidat für eine Namensgebung durchaus infrage kommt.
Rainer Andresens Ausführungen zufolge, muss das gusseiserne Namensschild über dem Eingang Mitte der 1980er Jahre noch existiert haben. Es soll nach 1885 gegossen worden sein, was zeitlich gut zur Umbenennung von Straße und Gang passt. Jetzt fragt sich nur noch, wann und wohin es verschwunden ist? Die für einen Gang vergleichsweise großen und modernen Häuser, die heute im Innenhof stehen, könnten ein Grund dafür sein, dass man diesen Gang nicht mehr zu den klassischen Altstadtgängen zählt. Ob er etwa zeitgleich mit den anderen Gängen dieses Areals im 16. Jahrhundert angelegt wurde, lässt sich anhand der mir vorliegenden Quellen nicht sagen.
NACHTRAG 2: Nachdem ich die Adressbücher der Jahre 1807 bis 1957 durchgeblättert habe, ist doch einiges klarer geworden, was die Benennung der Gänge und die Nummerierung der Häuser angeht. Die Ergebnisse meiner Recherchen habe ich im Artikel „Homanns Gang oder: Der Gang der umzog…“ zusammengefasst.
Archiv der Hansestadt Lübeck, Bau- und Architekturgeschichte, Stadtentwicklung in Lübeck:
[1] Dokument AW.02: Wakenitzmauer 1‑206
[2] Lübeck, Das alte Stadtbild, Geschichte der Wohngänge, Band 5, An der Mauer bis Wakenitzmauer; Rainer Andresen, Lübeck 1985; S. 163
[3] Wikipedia: Lübecker Franzosenzeit
[4] Wikipedia: Lübecker Hausnummern
[5] Wikimedia Commons: Grundriss der Freien Stadt Lübeck, aufgenommen von H. L. Behrens im Jahre 1824, berichtigt 1840
[6] Lübeckisches Adreßbuch. 1821. G. C. Schmidt, Rathsbuchdrucker, Lübeck, S. 393
[7] Lübeckisches Adressbuch nebst Lokal-Notizen und topographischen Nachrichten für das Jahr 1798. G. F. J. Römhild, Lübeck, S. 9
[8] Lübeckisches Adreß-Buch 1830. G. C. Schmidt, Rathsbuchdrucker, Lübeck, S. 402
[9] Lübeckisches Adreßbuch für 1886, Max Schmidt, Lübeck, S. 440
[10] Lübeckisches Adreßbuch für 1896, Max Schmidt, Lübeck, S. 624
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